Die Uni ist nicht nur der Ort, wo Studierende ihre Creditpoints sammeln, in letzter Minute ihre Referate basteln, in den Bibliotheken Fachliteratur lesen, im Knallhart Fair-Trade-Kaffee schlürfen und am Wochenende auf diversen Partys abdancen. Zur Uni gehört auch das Universitätsklinikum Eppendorf (UKE). Hier werden Menschen geboren, Menschen sterben, Menschen werden geheilt, oder eben nicht. Doch zum UKE gehört auch das Institut für Rechtsmedizin. Was hier passiert hat nicht primär mit der Gesundheit von Menschen zu tun. Und auch nicht mit gesundem Menschenverstand.
Der Leiter dieses Instituts ist Dr. Klaus Püschel. Püschel ist kein Unbekannter. Er soll schon einmal gefordert haben, die DNA aller Ausländer bei Grenzübertritt zu speichern. Fest steht seine Rolle als einer der Hauptverantwortlichen für den Tod von Achidi John, der 2001 im UKE bei einem Brechmitteleinsatz starb. Als Institutsleiter ist er heute auch für die Altersfeststellung von Flüchtlingen zuständig. Dieser Vorgang besteht aus dem Begutachten der Weißheitszähne, des Haarwuchses, sowohl im Brust- als auch im Intimbereich, das Röntgen des Handwurzelknochens und das Vermessen der Körpergröße. Diese Praxis ist in Fachkreisen hoch umstritten.
Altersfeststellungen werden durchgeführt, um die „Fiktivsetzungen“ (die heißen wirklich so) des Alters von Flüchtlingen durch die Ausländerbehörde zu überprüfen. Diese Fiktivsetzungen finden durch bloße Inaugenscheinnahme oder auch nur durch die eines Fotos statt. Im Gegensatz zu einheimischen Jugendlichen gelten Flüchtlinge bereits mit 16 Jahren als „voll handlungsfähig“ im Sinne des Gesetzes. Bei einer Altersfeststellung von über 18 Jahren verlieren sie zusätzlich noch das Recht auf Unterbringung in einer Jugendeinrichtung, Schutz vor Umverteilung in andere Bundesländer und das Anrecht auf Schulbesuch. Auch eine Abschiebung ist dann leichter und schneller durchführbar.
Früher war es so, dass Flüchtlinge gegen diese Fiktivsetzungen durch ein ärztliches Gutachten vorgehen konnten. Bereits seit 1997 durften in Hamburg nur noch sechs niedergelassene Ärzte diese Untersuchungen durchführen. Zu dieser Zeit wurden noch in über 50% der Fälle die Fiktivsetzungen nach unten hin korrigiert. Seit 2001 dürfen Altersfeststellungen nur noch im UKE durchgeführt werden. Mittlerweile werden diese Altersfeststellungen nicht mehr auf Wunsch der Flüchtlinge „freiwillig“ durchgeführt, sondern stets von der Ausländerbehörde angeordnet. In der Zeitspanne von April 2009 bis April 2010 wurden hierbei von 172 Fiktivsetzungen nur 9 rückgängig gemacht. Es drängt sich hierbei der Verdacht auf, dass das UKE sich hier zum Handlanger einer Politik macht, die Flüchtlinge möglichst schnell und kostengünstig loswerden will. (http://de.indymedia.org/2010/02/274263.shtml)
„Café Exil“, eine unabhängige Beratungsstelle für MigrantInnen und Flüchtlinge hat eine Begleiterfahrung veröffentlicht:
„Bei Altersuntersuchungen im UKE wurde weiblichen Begleitpersonen der Zutritt zum Untersuchungsraum verweigert, da die zu untersuchende Person männlichen Geschlechts war und sich ausziehen müsse. Der Sachbearbeiter der Ausländerbehörde blieb jedoch anschließend bei einer weiblichen Person, bei der die gleiche Untersuchung gemacht wurde, im Raum. Vor dem Start der Altersuntersuchung blieben Sachbearbeiter und Mediziner über 10 Minuten in einem Raum allein. Der Sachbearbeiter verweigerte im Anschluss Begleitpersonen, die Untersuchungsergebnisse gemeinsam mit ihm beim Mediziner einzusehen. Stattdessen blieb er 30 Minuten weg und kam mit den Papieren mit dem angekreuzten, jetzt endgültig „festgestellten“ Alter zurück. Dieses Verfahren der „Altersfiktivsetzung“ wurde am 22.7.09 durch einen Beschluss des Hamburger Verwaltungsgerichts im Eilverfahren für rechtswidrig erklärt, aber da in der Hauptsache noch nicht entschieden wurde, macht die Ausländerbehörde einfach weiter. Um weitere vermutlich erfolgreiche Widersprüche dagegen zu verhindern, wird in Verhören gleich nach Ankunft den Jugendlichen in den Mund gelegt, sie wollten keinen Asylantrag stellen (der Gerichtsbeschluss bezieht sich nur auf Asyl Beantragende). Noch am selben Tag wie die Altersuntersuchung werden die zu Erwachsenen erklärten Jugendlichen meist in ein anderes Bundesland umverteilt, so dass es kaum möglich ist, in Hamburg einen Rechtsanwalt zu beauftragen.“ (http://cafe-exil.antira.info/2009/12/begleiterfahrung-in-der-sportallee)
Der Bürgerschaftsabgeordnete Mehmet Yildiz (DIE LINKE.) hat im Januar eine schriftliche kleine Anfrage an den Senat u.a. zum Thema Altersfiktivsetzungen gestellt. Der Senat gibt darin zu, dass das Röntgen, bis April 2009 bei Altersfeststellungen noch verboten, mittlerweile zum Regelfall geworden ist.
Auf die Frage: „Welche sonstigen Möglichkeiten gibt es für Betroffene, ihr Alter zu belegen (zum Beispiel Geburtsurkunden, andere ärztliche oder psychologische Gutachten) und unter welchen Bedingungen werden sie akzeptiert?“
antwortet der Senat: „Das Lebensalter kann durch anerkannte Personaldokumente belegt werden, in der Regel durch Reisepässe des Herkunftsstaates. Diese Dokumente müssen dem Betroffenen zweifelsfrei zuzuordnen sein. Ärztliche oder psychologische Gutachten, die nicht durch das UKE erstellt wurden, werden von den zuständigen Behörden als Beleg des Lebensalters nicht akzeptiert.“ (http://www.linksfraktion-hamburg.de/nc/buergerschaft/initiativen_und_antraege/kleine_anfragen/detail/archiv/2010/januar/zurueck/kleine-anfragen/artikel/minderjaehrige-unbegleitete-fluechtlinge-muf-insbesondere-die-zugaen-ge-inobhutnahmen-altersfik/)
Doch so akzeptabel das klingt, so unbefriedigend ist die Wirklichkeit. Aus dem Begleiterfahrungsbericht von Café Exil: „Während bei Papieren, die zur Abschiebung dienen, die Echtheit von der Behörde nie in Frage gestellt wird, wird bei so gut wie allen Dokumenten, die Flüchtlinge vorlegen, um ihr Alter, ihre Asylgründe oder ein Abschiebehindernis zu belegen, erst einmal unterstellt, diese Papiere seien gefälscht. Das treibt so kuriose Blüten, dass z.B. Geburtsurkunden ohne Foto nicht anerkannt werden (in welchem Staat gibt es solche Urkunden mit Babyfotos?). Oder die „Prüfung“ von Papieren dauert so lange, dass ihre Gültigkeit abläuft. Ohne Einschaltung eines Rechtsanwalts haben die meisten Flüchtlinge und Migrant_innen keine Chance, dass wichtige Dokumente anerkannt werden.
Es kommt in der Sportallee (der Ausländerbehörde) öfter vor, dass eingereichte Papiere, z.B. Pässe oder Geburtsurkunden, einbehalten werden, ohne dass den Flüchtlingen und Migrant_innen dafür eine ihnen zustehende Bescheinigung ausgestellt wird. Später heißt es dann oft, die Dokumente seien nicht mehr auffindbar.“
Bleibt noch zu erwähnen, dass der 110. Deutsche Ärztetag sich gegen eine Beteiligung von Ärzten bei Altersfeststellungen im Asylverfahren ausgesprochen hat. Begründet wird dies durch die Unvereinbarkeit mit dem Berufsrecht von Ärzten, da es sich hier weder um Maßnahmen zur Verhinderung noch zur Therapie einer Erkrankung handele. Auch die potentielle Gefahr von Röntgenstrahlen und die wissenschaftliche Umstrittenheit des Verfahrens dienen zur Begründung. (http://www.bundesaerztekammer.de/page.asp?his=0.2.20.4640.5168.5283.5370.5372)
Zur kommenden Sitzung hat Die Linke.SDS an das Studierendenparlament den Antrag gestellt, das Institut für Rechtsmedizin und insbesondere Dr. Klaus Püschel aufzufordern, künftig keine Altersfeststellungen von Flüchtlingen für die Hamburger Ausländerbehörde mehr durchzuführen. Außerdem soll die Verfasste Studierendenschaft beauftragt werden, eine Informationsveranstaltung unter Einbeziehung von Flüchtlingsorganisationen im UKE stattfinden zu lassen und finanzielle Mittel für eine Flyerkampagne zu dem Thema bereit zu stellen.